200 Jahre reifer Biergenuss – Die Mittenwalder Brauerei
Im Auto höre ich B5 aktuell: „In Deutschland gibt es rund 1300 Brauereien, die Hälfte davon in Bayern.“
Danke B5, Euer Radiobeitrag zum bevorstehenden 500-Jahr-Jubiläum des Reinheitsgebots ist die ideale Einstimmung auf meinen Termin bei der Mittenwalder Brauerei. Marion Neuner, Chefin der höchstgelegenen Privatbrauerei Deutschlands, hat sich freigeschaufelt, um mit mir zu plaudern: über die Hype um bayerisches Bier und das Reinheitsgebot, das Frau sein im Brauwesen, den Trend zu Craft-Bieren, sowie über den Reiz, mit 200 Jahren Geschichte im Gepäck modern zu wirtschaften.
Neuner kommt voll Energie aus ihrem Büro ins Vorzimmer. An der Wand hängen die Porträts der Ahnen, die den 1808 gegründeten Betrieb 1860 übernahmen. „Das ist der Urgroßvater meines Mannes. Wir betreiben die kleine handwerkliche Brauerei jetzt schon in fünfter Generation.“ Weiter rechts steht eine ganze Reihe von hübsch gestalteten Biergläsern auf einem Regal. Ein Traum für Sammler, schätze ich. Auf der Fensterbank stehen Bierflaschen mit bunten Etiketten
Was ist Ihr Lieblingsbier, Frau Neuner?
„Ein Helles, im Sommer gerne auch ein Märzen!“, kommt wie aus der Pistole geschossen. Der Name stammt aus der Zeit, als es noch keine Kühlmaschinen gab. So wie die Forderung, Weißwürste vor dem 12-Uhr-Läuten zu essen. Wer mit untergäriger Hefe braut, braucht schließlich für die Gärung Temperaturen um die Null Grad. „So beendete der Monat März früher in der Regel die Brausaison.“
Und welches Mittenwalder Bier geht am besten?
„Etwa 60 bis 70 Prozent unseres rund 15.000-Hektoliter-Ausstoßes im Jahr ist Helles“, erklärt Neuner. Dunkles Bier werde jedoch immer beliebter. Durch das harte Wasser in weiten Teilen Bayerns war das Dunkle früher ohnehin das Gängigere. Durch den Umstieg vom Bierkrug aufs Glas und immer mehr Touristen aus nördlichen Gefilden stieg im Laufe der Zeit allerdings die Nachfrage nach „hellen“, gefilterten Bieren. Zur Erinnerung an die gute alte Zeit, als das Bier in Bayern noch dunkel war, haben wir zum Jubiläum des Reinheitsgebots die „Posthalter-Spezialität Nr. 1“ gebraut. Der Urahn, Johann Baptist Neuner war schließlich nicht nur Brauer, sondern auch königlicher Posthalter.
Wie weit wird das Mittenwalder Bier geliefert?
„Ja, einige ausgewählte Lieferungen gehen schon nach Frankreich, Kanada, Russland, Italien oder England“, erzählt Neuner. Aber im großen Stil forciert sie das nicht. Mittenwalder Bier wird weder pasteurisiert noch stabilisiert, es muss gekühlt transportiert und gelagert werden. „Exportbiere wurden schon immer stärker eingebraut und die Hopfengabe erhöht, damit sie den Transport gut überstehen. Das waren die damals bekannten Komponenten, um ein Bier haltbar zu machen.“ Doch das sei nicht ihr Bier. Sie setzt vor allem auf Frische und kurze Wege.
Wie fühlen Sie sich als Frau in der Männerbranche?
Seit 30 Jahren ist Marion Neuner schon in der Brauerei tätig, seit dem Tod ihres Mannes als Geschäftsführerin. Ihr Sohn kümmert sich nach seiner Ausbildung im Anlagenbau und dem Studium zum Brautechnologen um die Technik. Ich erlebe sie als offene Gesprächspartnerin und eloquente Geschäftsfrau mit einem gesunden Selbstbewusstsein. So tritt sie vermutlich auch Branchenkollegen gegenüber, denn sie meint: „Die Brauer sind charmant, ich fühle mich geschätzt“. Ein „Was willst denn du da?“ hat sie noch nie gehört. Respekt!
Das deutsche Reinheitsgebot – Ist das nur Show oder bringt es auch etwas?
„Haben Sie beim Bierkauf jemals auf das Etikett geschaut?“, fragt Marion Neuner herausfordernd lächelnd. – Eben. „Das Reinheitsgebot stammt ja eigentlich aus Bayern und gibt Sicherheit. Bayerisches Bier genießt nicht nur die geschützte EU-Ursprungsangabe, sondern unheimlich großes Vertrauen beim Verbraucher“. Die Hype um bayerisches Bier verschafft auch kleinen Brauereien wie der Mittenwalder einen Wettbewerbsvorteil: Getränkeketten handeln neuerdings deutschlandweit mit bayerischen Bierspezialitäten. „Das sind interessante Kunden, und so kann man durchaus auch in Berlin auf Mittenwalder Bier stoßen“.
Ein bisschen Show ist natürlich schon dabei. Zur Fotoschau des bayerischen Braubundes „Wächter des Reinheitsgebotes“ steuerte die Mittenwalder Brauerei ein außergewöhnliches Motiv bei: Braumeister Markus Hirthammer steht in Tracht mit einer Maß Bier und ernstem Blick bis zum Bauch im Lautersee – eine reife Leistung bei 15 Grad Wassertemperatur!
Frau Neuner, was soll die Diskussion um Craft Beer?
„Die Craft Beer Bewegung (aus der USA) favorisiert geschmackvollere, gehaltvollere Biere, abseits des Einheitsgeschmacks. So gesehen waren wir schon immer eine Craft-Beer-Brauerei“, meint Neuner amüsiert. „Bei uns wird jeder Sud einzeln eingebraut, vergoren und im Durchschnitt sechs bis acht Wochen gelagert, um seine ganz persönliche Note zu entfalten. Das rentiert sich für Großbrauereien schlicht und einfach nicht.“
Hier kommt der B5-Beitrag wieder ins Spiel. Die über 600 Braustätten in Bayern sind viele kleine, die manchmal nur für die eigene Gaststätte produzieren. Da ist Vielfalt selbstverständlich. Auch wenn extreme Craft Biere mit abenteuerlichen Geschmacksrichtungen nie zu Mainstream würden, begrüßt Marion Neuner den Trend: „Erstmals seit langem steigt die Zahl der Brauereien. Und Bier hat endlich wieder mehr Aufmerksamkeit.“
Aber macht Ihnen der sinkende Bierkonsum nicht zu schaffen?
Marion Neuner nickt: Die Demographie, das Stammtisch-Sterben, die Überkapazität, auch bedingt durch Großbrauereien, die sich eine Preisschlacht über den Handel liefern, das sei alles richtig. „Aber das trifft uns nicht so. Wir arbeiten meist jahrzehntelang mit unseren Abnehmern zusammen, setzen auf regionale Verbundenheit. Treue Kunden sichern unser Überleben“. Das glaub‘ ich ihr. Auf den Hütten, in den Wirtshäusern und Biergärten rund um Mittenwald, Krün und Wallgau, … wo immer man eine Halbe bestellt, meist Mittenwalder Bier.
Und wie geht die Brauereichefin mit Tradition um?
Wir arbeiten in diesem Gebäude seit 1896, „wo dir die Tradition überall entgegenspringt. Modernisieren ist hier eine riesen Herausforderung.“ Ja klar, Brandschutz, Berufsgenossenschaft, jede Menge neue Auflagen muss sie einhalten, altes Gebäude hin oder her. „Das ist wesentlich aufwändiger als eine neue Braustätte auf der grünen Wiese zu bauen“, stellt Marion Neuner klar.
Doch ich höre kein Bedauern, kein Jammern, nicht ansatzweise. Neuner sieht Tradition auch als Verpflichtung … und als Leidenschaft. Die lebt sie vor allem im hauseigenen Museum im Dachgeschoss aus. 200 Jahre Brau-Tradition und ein bisschen Nostalgie hat sie hier detailfreudig gestaltet. Faszinierend, der Charme der alten Technik und all die Geschichten dazu!
Der Rundgang durch die Brauerei geht mir dann zu schnell, hier könnte ich Stunden verbringen: Wir kommen gerade rechtzeitig zur Abfüllanlage, wo die erste Charge Posthalter-Spezialität in Flaschen gefüllt wird. 5000 Flaschen pro Stunde. „Ein Klacks im Vergleich zu den Kapazitäten der Großbrauereien“, so Neuner. Dann laufen wir über breite, tausendfach betretene Holzbohlen, an Fässern, alten Werbetafeln und Leuchtbuchstaben zwei mannshohen Bluna-Flaschen vorbei (Klasse!). An der Wand des 100 Jahre alten Sudhauses hängt ein kunstvolles Schild des Maschinenlieferanten (soooo schön, warum macht das heute kein Industrie-Designer mehr?), dann die historische Schlosserei: „Die stammt aus einer Zeit, als es in Mittenwald weder Wasser noch Strom gab. Jede einzelne Schraube musste selbst hergestellt werden“, berichtet Neuner.
Zum Kontrastprogramm wird die letzte Etappe meines Besuchs: Das neue Sudhaus. Meisterstück von Sohn Christoph Neuner, der hier zwei Jahre lang selbst Hand anlegte, jedes Rohr, jedes Ventil persönlich in der Hand hatte; offenbar ein Tüftler und Technik-Freak. Edelstahl pur statt Eisen, cooles Outfit statt Blaumann mit Schürze, lässiger Look, sieht ganz nach neuem Zeitalter aus! In Kürze wird hier also der gute alte Brauvorgang neue Wege gehen.
Frau Neuner schenkt mir zum Abschied noch eine Flasche Posthalter-Spezialität Nr. 1, dazu zwei Ausgaben „Flaschenpost“. In ihrer Kundenzeitschrift informiert die Chefin persönlich über Amüsantes oder Neues rund um das Mittenwalder Bier. „Mein Steckenpferd“, schmunzelt Marion Neuner. Auf dem Titel glänzt besagtes Foto von Braumeister Markus Hirthammer im Lautersee. Abends daheim gönne ich mir ein Glas Posthalter mit seinem feinen Karamell-Malz-Aroma. Dazu schmökere ich in der „Flaschenpost“ und lese, dass die Schweden Bier „Öl“ nennen. Hej, Ihr Armen, kommt schleunigst nach Bayern!
Impressionen aus der Privatbrauerei Mittenwald
Informationen und Wissenswertes:
- Bei Brauerei-Führungen erlebt man das alte Sudhaus mit Eisenkessel, das hauseigene Museum und mehr. Sie finden von Mai bis Oktober jeden Dienstag, von Juli bis September auch donnerstags statt. Infos unter: www.brauerei-mittenwald.de
- Das deutsche (eigentlich bayerische) Reinheitsgebot wurde am 23. April 1516 in Ingolstadt veröffentlicht. Deshalb ist der 23. April Tag des Bieres.
- Tipp für alle, die wie ich auf eine schöne Schaumkrone stehen: Gläser von Hand spülen, keine scharfen (Spülmaschinen)-Mittel, NIE zusammen mit fetten Tellern, Töpfen etc. spülen. Glas vor dem Einschenken kurz ausspülen. Prost!
Servus
ein wirklich toller Beitrag.
Danke dafür.
Und die Flaschenpost finde ich auch immer sehr interessant.
liebe Grüße
Silvia Nebel